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Argentiniens Mietpolitik – Ein Vorbild für Deutschland?

Lion Tönse
Geschrieben von:
Lion Tönse

Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum ist in vielen Ländern ein heiß diskutiertes Thema. Während die Mieten in Deutschland seit Jahren kontinuierlich steigen, sorgt Argentinien aktuell mit seiner Mietpolitik für Aufsehen. Seit der libertäre Präsident Javier Gerardo Milei die Mietgesetzgebung radikal reformiert hat, sind die Mieten in der Hauptstadt Buenos Aires inflationsbereinigt um 40 Prozent gesunken. Doch kann dieser vermeintliche Erfolg ein Modell für Deutschland sein? In diesem Artikel werfen wir einen detaillierten Blick auf die Entwicklungen in Argentinien und analysieren, welche Lehren Deutschland daraus ziehen kann – und welche Risiken eine solche Deregulierung birgt.

🎧 Passend zum Thema: Unser neuer Podcast

In unserem aktuellen Podcast sprechen wir ausführlich über die Entwicklungen auf dem argentinischen Mietmarkt und beleuchten, was Deutschland aus dieser Deregulierung lernen kann – oder vielleicht auch nicht. Wir analysieren die Auswirkungen auf Vermieter, Mieter und den gesamten Wohnungsmarkt und wagen einen Blick in die Zukunft: Wie würde sich eine ähnliche Politik auf den deutschen Markt auswirken? Hören Sie jetzt rein und erfahren Sie mehr über die Hintergründe dieser spannenden Entwicklungen!

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Die Mietpolitik unter Javier Milei: Ein radikaler Kurswechsel

Vor knapp einem Jahr wurde Javier Milei, ein überzeugter Libertärer, zum Präsidenten von Argentinien gewählt. Milei ist dafür bekannt, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft weitestgehend abzulehnen und den freien Markt als die treibende Kraft für Wohlstand zu sehen. Eine der ersten Maßnahmen seiner Regierung war daher die Aufhebung wichtiger Mieterschutzgesetze. Zwei zentrale Regelungen wurden abgeschafft: die Mietpreisbremse, die eine jährliche Mietsteigerung nur bis zu einem festgelegten Prozentsatz erlaubte, und die Mindestvertragslaufzeit, die sicherstellte, dass Mietverträge mindestens drei Jahre gültig bleiben.

Das Ergebnis? Das Angebot an Mietwohnungen in Buenos Aires stieg um beeindruckende 170 Prozent – eine fast dreifache Verfügbarkeit von Mietobjekten. Zudem sanken die Mieten inflationsbereinigt um 40 Prozent. Auf den ersten Blick scheint dies eine Erfolgsgeschichte zu sein, die die Effizienz eines deregulierten Marktes unterstreicht. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail.

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Die Schattenseiten des „Mietwunders“ in Argentinien

Obwohl die Zahlen auf den ersten Blick beeindruckend wirken, darf man die zugrundeliegenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Argentinien nicht außer Acht lassen. Das Land leidet seit Jahren unter einer extremen Inflation. Im Jahr 2023 lag die Inflation bei über 200 Prozent – eine Zahl, die sich viele in Deutschland kaum vorstellen können. Die Mieten sind inflationsbereinigt zwar um 40 Prozent gesunken, aber real betrachtet sind sie weiterhin massiv gestiegen – um ganze 197 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Das bedeutet, dass Mieter zwar theoretisch weniger zahlen als sie es ohne die Reformen getan hätten, aber in absoluten Zahlen sind die Mieten immer noch extrem hoch. Für viele Geringverdiener und Familien ist bezahlbarer Wohnraum nach wie vor außer Reichweite. Die Mietsteigerungen führen in der Praxis dazu, dass Menschen gezwungen sind, ihre Wohnsituationen radikal zu ändern. So berichtet der 18-jährige Genaro Villar Mastino, dass er und seine Mutter in eine deutlich kleinere Wohnung umziehen mussten, weil die Miete in ihrem alten Zuhause um das Achtfache erhöht worden wäre. Ein großer Teil des Einkommens fließt nun direkt in die Miete.

Ein weiteres Problem ist, dass die hohe Inflation auch die Renditen der Vermieter auffrisst. Obwohl die Mieten steigen, sind die Renditen auf Immobilieninvestitionen weiterhin gering, was den Markt langfristig wenig attraktiv macht. Die Mietrenditen in den größten Städten Argentiniens liegen bei mageren 2 bis 6 Prozent – ein Wert, der angesichts der wirtschaftlichen Risiken kaum Investoren anzieht.

Vergleich: Deutschland vs. Argentinien – Zwei völlig verschiedene Märkte

Während Argentinien mit einer fast unvorstellbaren Inflation kämpft, befindet sich Deutschland in einer weit stabileren wirtschaftlichen Lage. Die Inflation hierzulande liegt bei etwa 5 bis 6 Prozent – das ist im internationalen Vergleich niedrig, wird aber dennoch von vielen Mietern als Belastung wahrgenommen. Die Mieten in Deutschland steigen ebenfalls, aber in einem weitaus moderateren Tempo. 2023 lag der Anstieg der Mieten bei etwa 5 Prozent.

Ein entscheidender Unterschied zwischen beiden Ländern ist die Leerstandsquote. In Argentinien waren vor der Deregulierung viele Wohnungen leer, weil Vermieter diese aufgrund der Mietpreisbremse und Inflation nicht rentabel vermieten konnten. In Deutschland hingegen sinkt der Leerstand seit Jahren. Besonders in Großstädten wie Berlin, München oder Hamburg ist der Leerstand fast nicht existent – eine freie Wohnung zu finden, gleicht oft einer Herausforderung. Die Leerstandsquote liegt bundesweit bei etwa 2,5 Prozent, in ländlichen Regionen etwas höher, aber immer noch auf einem niedrigen Niveau.

Was würde passieren, wenn Deutschland den argentinischen Weg gehen würde?

Stellen wir uns vor, Deutschland würde einen ähnlichen Kurs einschlagen wie Argentinien und die Mietpreisbremse sowie andere Mieterschutzgesetze abschaffen. Was wäre die Folge?

Kurzfristig könnte dies tatsächlich zu einer leichten Entspannung auf dem Wohnungsmarkt führen. Vermieter, die bisher gezögert haben, ihre Immobilien anzubieten, könnten wieder aktiver werden, was das Angebot an Mietwohnungen erhöhen würde. Ein vergrößertes Angebot könnte den Preisdruck leicht reduzieren und zu einer Stabilisierung oder sogar zu einem kleinen Rückgang der Mieten führen.

Langfristig jedoch wären die Auswirkungen gravierend. Ohne Mietpreisbremse hätten Vermieter freie Hand, die Mieten nach Belieben zu erhöhen. Besonders in gefragten Großstädten würde dies zu noch höheren Mieten führen. Geringverdiener und Familien mit niedrigem Einkommen wären die ersten, die darunter leiden würden. Sie würden aus den Innenstädten verdrängt und in Randgebiete oder ländliche Regionen abgedrängt – die soziale Ungleichheit würde dadurch weiter verschärft.

Zudem könnten Vermieter häufiger Mietverträge auflösen, um durch neue Verträge höhere Mieten durchzusetzen. Das würde zu instabileren Wohnverhältnissen führen, was besonders Familien mit Kindern treffen würde.

Was Deutschland wirklich braucht: Mehr Wohnungsbau, weniger Deregulierung

Die Probleme auf dem deutschen Mietmarkt lassen sich nicht durch Deregulierung allein lösen. Der wahre Schlüssel liegt im Wohnungsbau. Deutschland hat in den letzten Jahren zu wenig neue Wohnungen gebaut – ein Problem, das durch steigende Baukosten und Bauzinsen noch verschärft wurde. Der größte deutsche Immobilienkonzern, Vonovia, hat 2023 den geplanten Bau von 60.000 neuen Wohnungen gestoppt, weil die Baukosten zu stark gestiegen sind.

Es braucht gezielte staatliche Förderungen und einen Abbau von Bürokratie, um den Wohnungsbau wieder anzukurbeln. Gleichzeitig sollte der Fokus auf der Modernisierung des bestehenden Wohnraums liegen, insbesondere auf leerstehenden Immobilien in ländlichen Regionen. Durch Sanierungsmaßnahmen könnten viele dieser Immobilien wieder auf den Markt gebracht werden, was das Wohnungsangebot insgesamt erhöhen würde.

Fazit

Argentinien zeigt, dass eine extreme Deregulierung des Mietmarktes kurzfristig für Bewegung sorgen kann. Doch die langfristigen Folgen für die soziale Gerechtigkeit und die Stabilität des Mietmarktes sind besorgniserregend. Deutschland steht vor ganz anderen Herausforderungen: Hier braucht es mehr Neubau, weniger Bürokratie und gezielte Förderungen, um das Problem steigender Mieten anzugehen. Eine Deregulierung nach argentinischem Vorbild würde das Problem nur verschärfen und die soziale Ungleichheit vergrößern. Die Lösung liegt in einer ausgewogenen Wohnbaupolitik, die sowohl das Angebot erhöht als auch den Wohnraum für alle Einkommensschichten erschwinglich macht.

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